Grenzen der Individualisierung und Differenzierung

20 verschiedene Arbeitsaufträge für 20 verschiedene Individuen?
Die Arbeitszeit des Lehrers beinhaltet 660 Stunden für Vorbereitung, Nachbereitung und Korrektur.

Um mein Denkspiel leichter verfolgen zu können, stellen wir der Vorbereitung bei 36 vollen Schulwochen 360 Stunden zur Verfügung.

Das ergibt 10 Stunden Vorbereitung für jede Woche bzw. 2 Stunden pro Tag.
Das geht sich ganz gut aus.

Nehmen wir die 2 Stunden Vorbereitung für sagen wir mal 20 SchülerInnen pro Tag.
Bei einer Vorbereitung in einer Jahrgangsgemischten Klasse (4 verschiedene Schulstufen) bleiben also 30 Minuten pro Schulstufe.
Jetzt wird's schon ein bisschen eng.

Bereite ich für jedes Kind absolut individuell vor, bleiben als Vorbereitungszeit 6 Minuten für jedes Kind pro Tag.
Völlig indiskutabel.

Individualisierung und Differenzierung haben mehr Aspekte als die rein quantitative Umsetzung in individuell gestalteten Arbeitsprogrammen.

Wenn zwei das selbe machen, ist es nicht das gleiche.
Wenn der Kraftsportler Franz Müllner und ich als Aufgabe bekommen 10 Zementsäcke zu 100 kg vom Erdgeschoß in den dritten Stock zu tragen, ist das für mich eine Leistung, für Franz Müllner eine Aufwärmübung.
Die beiden erbrachten Leistungen müssen also individuell beurteilt werden.

Manche Kinder haben oft anstrengende Wesensmerkmale.
Gerade bei ADHS-Kindern fällt oft auf, dass sie durch Medikamentation an das System angepasst werden und plötzlich wesensfremde Verhaltensweisen an den Tag legen.
Aber auch leichtere Formen der Systemdesintegrität müssen wir bei einer qualitativ hochwertigen Individualisierung und Differenzierung akzeptieren lernen.
Wir müssen die Kinder so nehmen wie sie sind.

Es macht einfach keinen Sinn einem Hund das Eierlegen und einem Huhn das Bellen beizubringen.

Hören wir endlich auf den Eltern, den SchülerInnen und der Gesellschaft Fantasien als Realität vorzuspielen und beginnen wir den Wert jedes einzelnen Kindes in seinen Stärken und auch seinen Schwächen zu sehen.

Die LehrerInnen machen das unbedankterweise schon seit Jahren.

Die Bildungspolitker sollten diese Bemühungen endlich unterstützen und nicht torpedieren.

Stadler Michael
Obmann von hope